Nummer 12 – 28. November 2013
AUFRUHR
Nummer 12, Jahr II
Anarchistisches Blatt
Erscheint jeden Monat
Zürich, 27. November 2013
Inhalt:
Editorial
Der falsche Streitpunkt der Gewalt
Wem gehört die Stadt?
Zum Kampf gegen den Bau des PJZ
Trotz allem Mensch sein!
Kommentare
Unruhenachrichten
Zitate
Als PDF-Datei.
Editorial
Seit einem Jahr schon findet nun der Aufruhr auf den Strassen und in den Köpfen von Zürich, und darüber hinaus, Verbreitung. Seit 12 Nummern versuchen wir mit unserem anarchistischen Blatt zum Denken und zum Handeln anzuregen, in der Perspektive eines Kampfs für die Freiheit. Die Reaktionen reichen von begeistert über kontrovers bis zu empört. Aber die Diskussionen leben auf und die Begegnungen mehren sich. Die anarchistischen Ideen zirkulieren und finden ihren Platz, bei jenen Individuen, die bereit sind, alles zu hinterfragen und den eigenen Freiheitsdrang zu wecken. Die Arbeit, die wir in den “Aufruhr” stecken, zeigt sich also fruchtbar, und wir haben keineswegs vor, nachzulassen. Ganz im Gegenteil.
Trotz der leichten Verspätung der letzten beiden Nummern, aus redaktionellen Gründen, wollen wir weiterhin unsere monatliche Regelmässigkeit aufrechterhalten. Ausserdem kann über die auf der Rückseite abgedruckte Kontaktadresse, gegen Spende oder auch unentgeltlich, ab jetzt auch eine Abonnierung oder ein Bündel mit allen bisher erschienenen Nummern angefragt werden. Wir freuen uns wie immer über Kommentare, Kritiken und Beiträge.
Der falsche Streitpunkt der Gewalt
Die Frage, die ich behandeln will, ist eine alte und immer wieder diskutierte Frage, sowohl unter Anarchisten wie auch im Allgemeinen. Es geht um die Frage der Gewalt. Ich bin der Ansicht, dass die Unterscheidung in Gewalt und Gewaltlosigkeit im Grunde ein falscher Streitpunkt ist, der vor allem von vielen Missverständnissen genährt wird. Dieser Artikel will versuchen – sicherlich nur ansatzweise – einige dieser Missverständnisse zu klären.
Wir, als Anarchisten, sind für eine freie und zwangslose Gesellschaft, basierend auf der Solidarität und der gegenseitigen Hilfe, und somit für die grösst mögliche Beseitigung der rohen Gewalt aus den sozialen Verhältnissen. Und eben aus diesem Grund sind wir Gegner des Kapitalismus und des Staates, der, unter Androhung und Anwendung der Gewalt (des Polizisten und gegebenenfalls des Soldaten), den Grossteil der Menschen dazu zwingt, sich von den Reichen und den Bossen ausbeuten zu lassen, beziehungsweise sich an die Gesetze zu halten, die diese Ausbeutung sicherstellen. Mittels der Gewalt verteidigt der Staat das heilige Eigentum, das heisst, beschützt er die Privilegien der Besitzenden und hält er die Armen davon ab, sich das zurückzuholen, was ihnen tagtäglich bei der Ausbeutung ihrer Arbeit gestohlen wird. Mittels der Gewalt setzt das Kapital seine wirtschaftlichen Interessen durch, auch ohne davor Halt zu machen, auf Kriege und Verheerungen (Umweltzerstörung, Atomkraft, etc.) zurückzugreifen. Dieser alltäglichen und ständigen Gewalt, der, unter den heutigen Bedingungen, Milliarden von Menschen ausgesetzt sind, als Auswuchs einer Gesellschaft, in der die Autorität und das Geld regieren, wollen wir so bald wie möglich ein Ende setzen.
Es wäre jedoch ein Irrsinn, ja geradezu ein fataler Fehler, zu glauben oder darauf zu hoffen, dass die Privilegierten, die von dieser Ordnung der Dinge profitieren, und die die Macht in ihren Händen halten, sich den Schaden zu Herzen nehmen, den sie für den Grossteil der Menschen bedeutet, und freiwillig auf ihre Privilegien verzichten würden. Darum sind wir überzeugt, dass es, um dieser sozialen Ungleichheit ein Ende zu setzen, eines Aufstands bedarf – von Seiten jener, die unter diesen Bedingungen leiden und sich, je bewusster sie sich dieser Bedingungen werden, umso dringender davon befreien wollen. Deshalb kämpfen wir für eine soziale Revolution, die sicherlich ein Anwachsen und eine Verbreitung dieses Bewusstseins bedingt, aber dennoch ohne jene aufständischen Bewegungen unmöglich bleibt, die fähig sind, das zu zerstören, was die systematische Gewalt, das heisst, den Staat und die Ausbeutung möglich macht. Dieser revolutionäre Prozess wird immer die konservativen und staatlichen Kräfte gegen sich haben und kann, so bitter wir dem auch gegenüberstehen mögen, nicht anders als gewaltsam sein.
Die Frage liegt also, aus diesem Blickwinkel betrachtet, jenseits des falschen Streitpunkts von Gewalt oder Gewaltlosigkeit. Die Gewalt ist ein Übel. Und dennoch ist sie, zur Befreiung von den gegenwärtigen Unterdrückungsbedingungen, notwendig, ja wäre es fatal, ihr zu entsagen, wenn wir nicht dafür mitverantwortlich sein wollen, dass die alltägliche und grössere Gewalt dieser Ordnung weiter fortdauert. Auch wenn ich jeden verstehen kann, der aus persönlichen Gründen auf jeglichen Gebrauch von Gewalt verzichten will: daraus ein universelles Prinzip zu machen, bedeutet, den Ausgebeuteten und Unterdrückten das einzige Mittel abzusprechen, um ihrer Bedingung wirklich ein Ende zu setzen.
Betrachten wir die Frage unter einem anderen Aspekt. Im Grunde läuft die Position der meisten sogenannten „Gewaltlosen“ darauf hinaus, die Legitimität des Gebrauchs von Gewalt auf die äusserste Notwendigkeit, auf die Verteidigung gegen einen unmittelbaren und materiellen Angriff zu reduzieren. Wenige gehen soweit, zu behaupten, man solle sich lieber erschiessen lassen, als zurückzuschlagen – abgesehen von irgendwelchen christlichen Märtyrern vielleicht.
Doch, wenn wir davon ausgehen, dass die Gewalt einzig als Verteidigung gegen einen materiellen Angriff legitim ist, befindet sich dann derjenige, der sich in einer Situation von Ausbeutung und Unterdrückung befindet, der, aufgrund eben dieser Situation, einer permanenten Drohung ausgesetzt ist, nicht immer im Zustand von legitimer Verteidigung? Und, im Wissen, dass der Angriff oft die beste Verteidigung ist, wieso sollte er erst, wenn ihm das Wasser bis zum Hals steht, wenn die Repression des Gegenübers bis zum Äussersten getrieben wird, moralisch gerechtfertigt sein, sich gegen die Verantwortlichen für seine Bedingung zu wehren? Und, ganz abgesehen davon, wieso sollte sich jemand anmassen, darüber urteilen zu können, ab wann jemand anderes (dessen intime Bedingung wir meistens kaum kennen) genug unterdrückt wurde, um sich legitim verteidigen, beziehungsweise angreifen zu dürfen?
In unseren Augen ist die rebellierende Gewalt des Unterdrückten immer eine verteidigende Gewalt. Der Staat, die Polizei, die Gefängnisse, die von den Bossen organisierte Ausbeutung, und jede andere repressive Institution, stellen alleine schon durch ihr Bestehen eine Drohung, eine Provokation, ein Angriff dar. Und es ist nicht nur legitim, sondern, wenn wir uns dieser Gewalt nicht einfach unterwerfen wollen, notwendig, vom heutigen Tag an, ob individuell oder kollektiv, gegen sie die Initiative zu ergreifen und Angriffe zu realisieren, ohne auf irgendeinen hypothetischen grossen Tag der Befreiung zu warten.
Wie oft sind nicht jene, die schreien, wenn ein Individuum sich auflehnt und gewaltsam gegen seine Unterdrückung rebelliert, dieselben, die schweigend Kriege und Polizeigewalt als Normalität legitimieren? Wir wissen, dass diese Ordnung jeden gewaltsamen Akt von Rebellen immer als Grausamkeit hinstellen wird, während sie selber im Hintergrund foltert, tötet und massakriert. Wir wissen, was der „Friede“ bedeutet, wovon die Regierenden ständig und überall sprechen, und wir wollen diesen Frieden nicht. Denn, wie es ein Anarchist einmal ausdrückte: « amit zwei in Frieden leben können, ist es notwendig, dass beide den Frieden wollen; […] wenn einer der beiden darauf beharrt, den anderen mit Gewalt dazu zwingen zu wollen, für ihn zu arbeiten und ihm zu dienen, der andere, wenn er seine Menschenwürde bewahren und nicht in die niederträchtigste Sklaverei gezwungen werden will, trotz all seiner Liebe für den Frieden und das gute Einverständnis, gezwungen sein wird, der Gewalt mit angemessenen Mitteln Widerstand zu leisten.
Wem gehört die Stadt?
[Der folgende Text zirkulierte als Flugblatt an einer Demonstration am 26. November, die unter diesem Motto stattfand.]
Ja, wem gehört sie den wirklich? Den Parteien, die nur auf Wählerfang sind und denken, durch ihr demokratisches Handeln die Welt verbessern zu können, damit aber nur den Status Quo aufrecht erhalten? Oder den Organisationen, die mit ihrer bürgerlichen Moral jedes autonome Handeln hemmen und jeden als Gefahr für die Gesellschaft abstempeln, der sich nicht ihrem demokratischen Diskurs fügen will?
Ihr fordert mit dieser Demonstration bezahlbaren Wohnraum, wir fordern vom Staat in erster Linie gar nichts. Von einem Staat etwas zu fordern, bedeutet, seine Bedürfnisse in die Hände von angeblichen Experten zu legen. Ihr redet und fordert Freiräume, wir haben genug davon, zu reden und zu verhandeln, und wollen nichts weniger als dass sich der Staat aus unseren Leben verpisst. Wir nehmen unsere Leben in die eigenen Hände, fernab von Staat und Kapital, und nehmen uns das, was uns eh schon gehört. Die Forderung, dass es mehr Freiräume für Kultur und Gewerbe braucht, und geichzeitig gegen eine Stadt der Kapitalinteressen zu wettern, zeigt, wie sehr diese Logik der Marktwirtschaft bereits verinnerlicht wurde.
Wir glauben, dass unsere Interessen und Bedürfnisse als Individuen von niemand anderem ausser uns selbst bestimmt werden sollten, und somit spucken wir auf alle Parteien und Organisationen.
Einige Wütende
Zum Kampf gegen den Bau des PJZ
[Der nachfolgende Text wurde uns zugesendet, mit der Bitte, ihn abzudrucken.]
Die meisten werden über das neue Polizei- und Justizzentrum, das beim ehemaligen alten Güterbahnhof gebaut wird, bereits bestens informiert sein, und ich will daher hier nicht lange bei technischen Informationen verweilen, und stattdessen vor allem auf unseren Vorschlag zu sprechen kommen, wie wir gedenken, dass dieser Bau noch immer verhindert werden kann. Dennoch will ich dieses Projekt kurz in einem Kontext verorten, den es wichtig ist, uns bewusst zu halten, um die Tragweite, das heisst, die beträchtlichen Konsequenzen zu verstehen, die es für das ganze umliegende Quartier, und darüber hinaus, haben wird.
Wie wir in der Vergangenheit bereits deutlich sehen konnten, sind im Quartier von Aussersiehl grosse Veränderungsprozesse im Gange. Die letzten in dieser langen Reihe können wir mit der Sanierung und Vertreibung der Anwohner an der Weststrasse, mit dem Luxusprojekt der Europaallee oder eben, mit dem Bau eines neuen Polizei- und Justizpalastes sehen. Dieser allmähliche „Aufwertungsprozess“, ein Wort, das offenbar etwas gutes suggerieren will, hat in Wirklichkeit für die meisten jetztigen Anwohner bedeutende negative Konsequenzen. Abgesehen davon, dass die Vorstellung von „Wert“ sehr verschieden sein kann, und, zumindest in unserem Fall, keineswegs mit jener der Reichen und Regierenden übereinstimmt, ist klar, dass diese Aufwertung nicht für alle realisiert wird. Davon „geniessen“ können, werden nur jene, die es sich auch leisten können, das heisst, die sich die steigenden Mieten leisten können, welche die Sanierungen und Neubauten unweigerlich mit sich bringen. Alle anderen werden früher oder später gezwungen sein, wegzuziehen, in den meisten Fällen in Richtung Stadtrand, wo bereits dafür vorgesehene Wohnblocksiedlungen stehen und in Planung sind.
Im Konkreten werden insbesondere für das Bullingerquartier, eines der 4 Pilotprojekte der Schweiz für „nachhaltige Quartierentwicklung“, bereits umfassende Zukunftspläne ausgearbeitet. An erster Stelle soll die unmittelbare Nachbarschaft des PJZ erneuert werden. Die Besitzer der Siedlungen rund um den Erismannhof sind bereits dabei, in Zusammenarbeit mit Ämtern der Stadtentwicklung die künftigen Neubauten zu planen. Für die Siedlungen Kanzlei und Seebahn ist der Bautermin auf 2018 angesetzt, also unmittelbar nach Inbetriebnahme des PJZ. Beim Erismannhof, der seit langem den Ruf von „Undisziplinierbarkeit“ geniesst, ist stark anzunehmen, dass in den kommenden Jahren dasselbe versucht wird. Weitere Abbrüche, Neubauten und Sanierungen werden, wie von der Stadtentwicklung Zürich angekündigt, im ganzen Bullingerquartier folgen.
Diese Veränderungsprozesse, die langsam aber sicher ihren Lauf nehmen, werden uns wie natürliche Entwicklungen präsentiert, die wir nichts als akzeptieren können. Mit einem ökologischen Anstrich und einer Pseudo-Miteinbeziehung der Quartierbewohner wollen sie verbergen, dass es sich dabei schlicht und einfach um ein weiteres Unternehmen handelt, um auf dem Rücken der ärmeren Schichten Profit zu schlagen. Diejenigen, die davon betroffen sind, haben also alles Recht, sich gegen diese Ausbeutung und Vertreibung zu wehren, und zwar mit allen Mitteln, die dafür nötig sind. Wenn wir nicht zuschauen wollen, wie diese Prozesse ihren Lauf nehmen, bis sie früher oder später an unserer Tür anklopfen, wenn wir die Bestimmung nicht einfach akzeptieren wollen, welche die Stadtregierung für uns vorsieht, dann sollten wir, meiner Meinung nach, nicht auf morgen warten, sondern heute damit beginnen, uns zu wehren.
Wenn wir über den Vorschlag eines Kampfes gegen den Bau des PJZ sprechen, ist es wichtig, uns den Kontext dieser Veränderungsprozesse im Quartier bewusst zu halten. Die heutige Baustelle beim ehemaligen alten Güterbahnhof hat im Grunde eine gewisse Schlüsselfunktion in diesen Prozessen. Sie liefert den entscheidenden Baustein, um das neue, aufgewertete und kontrollierte Quartier durchzusetzen, das die Stadtregierung realisieren will. Dieser riesige Gebäudekomplex, als Gefängnis, Strafverfahrenszentrum und Zentrale der Bereitschaftspolizei, soll mit einer erhöhten Polizeikontrolle im Quartier dafür sorgen, dass die Strassen und Plätze für die Bedürfnisse der künftigen, reicheren Anwohner gesäubert sind. Das Klima im Quartier wird sich bedeutend verändern und die Präsenz dieses Gebäudes, die Frequentierung durch Polizeipatrouillen und Gefangenentransporte, wird deutlich zu spüren sein. Nicht zuletzt wird ein gewisser Teil der zahlreichen Leute, die künftig im PJZ arbeiten werden, also Bullen oder Leute, die für die Bullen arbeiten, im anliegenden Quartier wohnen kommen und ein Teil von jenen sein, welche die bevorstehende Aufwertung in Anspruch nehmen.
Doch so entscheidend dieser Bau für die Veränderungsprozesse im Quartier, und in der Stadt im Allgemeinen sein wird, so entscheidend wird es sein, wenn er aufgehalten wird. Und dies ist etwas, das wir für möglich halten, mit der nötigen Entschlossenheit und Tatkräftigkeit.
Dass der politische Weg wirkungslos ist, haben wir in der Vergangenheit bereits gesehen. In 2 Abstimmungen wurde das PJZ angenommen, obwohl in den am direktesten betroffenen Gebieten praktisch alle Anwohner dagegen sind. Es wäre also sinnlos, die Verantwortung, etwas gegen dieses Projekt zu unternehmen, in die Hände von Politikern zu legen, die sowieso nur ihre eigenen Interessen verfolgen. Wir haben auch gesehen, dass die anklagenden und fordernden Demonstrationen relativ wirkungslos bleiben. Unserer Meinung nach wäre es fatal, uns darauf zu beschränken, mit Protesten politischen Druck auszuüben und somit darauf zu hoffen, dass die Autoritäten früher oder später nachgeben. Etwas, das ausserdem heute im Falle des PJZ praktisch auszuschliessen ist.
Darum ist das, was wir vorschlagen können, das, worin wir eine reelle Möglichkeit sehen, diesen Bau noch immer zu stoppen, das direkte Eingreifen durch konkrete Taten. Wir schlagen vor, uns selber zu organisieren, unabhängig von irgendwelchen Parteien oder Organisationen, um ab heute Praktiken zu verbreiten, die wir alle selber in der Hand haben, und womit wir alle selber dafür sorgen können, dass dieser Bau gestoppt wird. Sei es durch die Verbreitung unserer Feindschaft mit Worten und Gesten, oder durch die konkrete Blockierung der Arbeiten, die Sabotierung der Baustelle, das Verursachen von ökonomischen Schäden bei den beteiligten Firmen oder die Störung der für den Bau Verantwortlichen. Die Möglichkeiten, einen solchen direkten und selbstorganisierten Kampf zu beleben und zu verbreiten, sind unzählige. Es liegt an uns allen, darüber zu diskutieren und sie in Praxis umzusetzen.
Trotz allem Mensch sein!
Der folgende Artikel wurde uns per Brief von Thomas Meyer-Falk zugesendet, ein anarchistischer Kamerade, der 1996 in Deutschland für einen Banküberfall verhaftet wurde, ein Überfall, dessen Ziel es war, Geld zu enteignen, um revolutionäre Aktivitäten zu finanzieren.
Wir versprechen ausserdem, in den nächsten Nummern des Aufruhr das Thema der Enteignung als revolutionäres Finanzierungs- und Überlebensmittel und jenes des Isolationsregimes, dem einige anarchistische Kameraden und andere revoltierende Gefangene unterzogen werden, in Artikeln zu vertiefen.
Trotz allem Mensch sein!
So beginnt eines der wohl bekanntesten Gedichte Erich Mühsams; und an anderer Stelle heisst es:
„Mensch sein heisst Unrecht bei der Gurgel fassen
und es mit jedem Keim zu Staub zerreiben“,
die galt damals und hat heute nicht an Aktualität verloren. Der „Aufruhr“ wird auch in Gefängnissen gelesen, dort, wo die gelandet sind, welche mal aus eigennützigen Motiven heraus, aber auch als politische Kämpferinnen und Kämpfer für eine Welt, die allen Menschen erlaubt, Mensch zu sein, aufrührerisch gehandelt haben – und dafür jetzt mit dem Entzug ihrer Freiheit bestraft werden. Die drangsaliert, entwürdigt und unmenschlich behandelt werden, auf dass sie als abschreckendes Beispiel dienen für jene, die – vielleicht – noch davor stehen, sich aufzulehnen gegen die bestehenden Strukturen.
Seit bald 20 Jahren sitze ich im Gefängniss, aber trotz langer Jahre der Isolationshaft haben sie es nicht geschafft, mich zu brechen. Aktuell wird an mir, und rund 500 Männern, sowie drei Frauen in Deutschland ein NS-Gesetz vom 24.11.1933 vollstreckt, die Sicherungsverwahrung. Eine Regelung, die im Vorfeld schon Kurt Tucholsky bekämpfte: „Nieder mit der Sicherungsverwahrung!“ (in: Die Weltbühne 1928, S. 839), die aber noch heute, auch in der Schweiz, ein wichtiges Repressionsinstrument darstellt.
Aufruhr, davon bin ich überzeug, beginnt im Herzen, dann, wenn wir nicht mehr zusehen können und wollen, wie Unrecht geschieht! Und aus dem Gedanken wird dann die Tat, das Handeln geboren.
Thomas Meyer-Falk
c/o JVA (SV-Abt.)
Hermann-Herder-Str. 8
D-79104 FREIBURG
freedomforthomas.wordpress.com
Kommentare
Am vergangenen 3. November wurden die Anwohner des Bullingerquartiers, und darüber hinaus, zu einer Diskussion für einen Kampf gegen den Bau des PJZ in die Pizzeria am Bullingerplatz eingeladen. Dort wurde, nach einem kurzen Vortrag, der dieses Projekt auch in den Kontext der laufenden Vertreibung der Anwohner durch „Aufwertungsprozesse“ stellte, angesichts der offensichtlichen Aussichtslosigkeit einer politischen Opposition, über die Möglichkeiten einer direkten und selbstorganisierten Opposition diskutiert. Dabei wurde unter anderem die Tatsache betont, dass der Streitpunkt dieses Projektes, in zwei Abstimmungen, vor allem seine hohen Kosten waren, und dass daher von einer relativen Knappheit des zur Verfügung stehenden Budgeds ausgegangen werden kann. Ein in die Höhe Treiben der Kosten, durch Sabotagen und Blockierungen der Arbeiten, nicht nur auf der Baustelle, sondern beim ganzen Netz der beteiligten Interessen, könnte also das Projekt zum Scheitern bringen. Ausserdem wurde das Beispiel der Besetzung der Baustelle des Atomkraftwerks von Kaiseraugst erwähnt, die 1975 zur Einstellung des begonnenen Baus beitrug. Im Allgemeinen war man sich einig, dass nur eine konstante und sozial verbreitete Feindlichkeit diesem Projekt Einhalt gebieten kann, und dass es dazu hilfreich ist, Begegnungsmomente in verschiedenen Formen zu kreieren.
Unruhenachrichten
« Wir sprechen nicht mit Bullenschweinen! »
Dies steht bei der OJA (Offene Jugendarbeit) Kreis 3&4 an die Wand gesprayt. Grund dafür mag vielleicht die Veranstaltung sein, die Mitte Oktober dort mit Polizeipräsident Wolff, dem K4-Bullenchef und anderen Blaulingen stattfand, um gemeinsam mit Jugendlichen aus dem Quartier über das Problem der ständigen Kontrollen und Erniedrigungen zu sprechen. Die Sprayerei wirft die Frage auf: Denken wir wirklich, dass sich etwas ändern wird, wenn wir uns dazu herablassen, uns mit unseren Erniedrigern an einen Tisch zu setzen? Oder wird dies nicht vielmehr durch unsere Nicht-Kollaboration und unsere Auflehnung geschehen? Was haben wir den Bullen zu sagen, «Bitte seid etwas netter?», oder »Verpisst euch!»? Sollte die Tatsache, dass „es brodelt“, wie Wolff meint, und die für ihn bedeutet, „das Polizeidepartement besser zu machen“, für uns nicht vielmehr ein Ansporn sein, uns zusammenzutun – ohne Bullen und Sozis – um uns immer mehr gegen die Bullen zu wehren? Was uns betrifft, wir fordern keine menschlichere Polizei, denn so etwas gibt es nicht. Das Problem ist ihr Bestehen an sich, und darum wollen wir, dass sie aus der Welt verschwinden.
Spielerisch Zerstören
In Hünftwangen (ZH) haben sich einige Unbekannte offenbar spielerisch an einem Zerstörungswerk betätigt, zu Schaden des internationalen Ausbeuterkonzerns und WEF-Mitglieds Holcim. In einer Novembernacht wurden dort, in einem Kieswerk des Konzerns, 12 Autos eingeschlagen und ein weiteres Auto sowie ein „Grossdumper“ abgefackelt. Doch die scheinbar unbekümmerten Maschinenstürmer beliessen es nicht dabei, und nahmen sich die Zeit, mittels eines Schraubenziehers einen Bagger zu knacken, womit sie erst ein Fahrzeug überrollten und dann versuchten, einen Kipplader einen Abhang herunterzustossen – was nicht so gut klappte, aber auf jeden Fall eine amüsante Idee ist. Danach klauten diese dreisten Vandalen ein Auto, womit sie bis in den nahegelegenen Wald fuhren, um sich dann davon zu machen. Im Kieswerk hinterliessen sie einen Sachschaden von mehr als einer halben Million. Wir freuen uns über diesen gelungenen Ausflug und empfehlen auch die etwas überall zu findenden Bauterrains der Firma Eberhard, deren Maschinen in Zürich den Boden für ein neues Polizei- und Justizzentrum präparieren, für solcherlei Spässe.
Sabotage von PJZ-Beteiligten
Wie eine Meldung mitteilt, wurde Mitte November « auf einer Baustelle an der Grenze von Schwamendingen und Dübendorf, ein PKW sowie ein Schwertransporter der Firma Eberhardt angezündet! Da war wohl jemand sauer darüber, dass sich die Firma Eberhardt am Bau des PJZs beteiligt. » Aus einem Zeitungsartikel, der sich über ein Flugblatt beklagt, dass im Oktober offenbar grossräumig in ganz Aussersiehl in die Briefkästen verteilt wurde, und worin dazu aufgerufen wird, das Projekt « eigenhändig zu sabotieren, anzuprangern und aufzuhalten », geht hervor, dass « bereits vor einigen Monaten Unbekannte zahlreiche Fahrzeuge und Maschinen der Recyclingfirma Eberhard, welche die Gebäude des Güterbahnhofs abreisst, beschädigt haben. Der Schaden belief sich auf über 100´000 Franken. » Ausserdem machen die Journalisten allen tatbereiten PJZ-Gegnern den Gefallen, noch einmal einige der Mitverantwortlichen zu zitieren: « Die SBB, der Architekt [Theo Hotz AG], die Baufirma sowie die Baudirektion, die Stadtregierung und weitere werden als Ziele genannt. » Nun dann, es gibt viele Möglichkeiten, und, wie wir in Hüftwangen gesehen haben, können nächtliche Ausflüge auch sehr viel Spass machen.
Im Alleingang
Trotz übermässiger Bullenpräsenz im Langstrassenquartier wird es ihnen nie gelingen, alle unerwünschten Regungen zu kontrollieren, wie, einmal mehr, ein Mann bewies, der, alleine, aus der dortigen ZKB-Filiale mit etwas Nachdruck einige 100`000 Franken davontrug. Die Ketten der Armut sind manchmal leichter zu zerbrechen, als wir glauben.
Psychiatrische Verwahrung gegen Rebellen
In der Logik der Macht kann, wer darauf beharrt, sich der Autorität nicht fügen zu wollen, nicht anders als «psychisch Krank» sein. Sie erklärt die Rebellion und die Nicht-Kollaboration gegenüber dem autoritären System, das uns aufgezwungen wird, zur Krankheit, um es dem Staat zu ermöglichen, Individuen in «psychiatrische Verwahrung» zu sperren. Eine Massnahme, die, im Rahmen der laufenden Umstrukturierung des Gefängnissystems, immer mehr aufkommt, und dem Staat freie Hand gibt, unerwünschte Individuen mit, in dieser Logik konstruierten, psychiatrischen Begründungen auf unbestimmte Zeit wegzusperren. Eine Massnahme, die oft auch gegen Anarchisten Anwendung findet, wie zum Beispiel im Fall von Marco Camenisch für seinen Kampf gegen die Atomkraftwerke oder im Fall von Thomas Mayer Falk (siehe Artikel).
Das jüngste Beispiel davon zeigt sich im Prozess gegen Peter Hans Kneubühl, der sich 2010 in Biel bewaffnet gegen die Polizei wehrte, die ihn gewaltsam aus seinem Haus räumen wollte, das, nach jahrelangem Herumschlagen mit den Behörden, zwangsversteigert werden sollte. Vor Kurzem fand gegen ihn der Berufungsprozess statt. Die psychische Krankheit, die diesmal erfunden wird, wird kreativ «Verfolgungs- und Beeinträchtigungswahn mit querulatorischer Komponente» genannt, während zur Belastung herbeigezogen wird, dass er bezüglich seiner Taten keine Reue zeigt. Kneubühl bekräftigt, wieder und wieder, dass er zu diesem Zeitpunkt ganz genau wusste, was er tat. In einem Interview schreibt er; « Sie wollen mich für den Rest meines Lebens in einer psychiatrischen Anstalt versorgen und mit Drogen zum Schweigen bringen. » « Die Psychiatrie verfügt heute über eine Macht, die sich vor wenigen Jahren niemand hat vorstellen können. » Was die Tatsache betrifft, dass er auf seiner Flucht einen Polizisten angeschossen hatte, ist er deutlich: «Wenn jemand mit Waffengewalt andere Menschen angreift, so soll er sich nicht beklagen, wenn er selber eine Beule abbekommt.» Vor dem Gericht verteilte ein Bekannter von ihm Flublätter, um gegen die Massnahme der Verwahrung zu protestieren: « Hier wird ein unliebsamer Bürger als schuldunfäig eingestuft, um ihn zum Schweigen zu bringen ».
Zitate
«Die Anarchisten haben keine Heuchelei. Die Gewalt muss mit Gewalt zurückgeschlagen werden; heute gegen die Unterdrückungen von heute; morgen gegen die Unterdrückungen, die versuchen könnten, an die Stelle von jenen von heute zu treten.»
Errico Malatesta, 1927
« Das Gefängnis ist die tragende Struktur der Gesellschaft, in der wir leben. Eine fortschrittliche, erzieherische, permissive Gesellschaft, eine Gesellschaft, die sich von aufgeklärten Politikern führen lässt, gegen jeglichen Einsatz der harten Manier, eine Gesellschaft, die schockiert auf die mehr oder weniger weit entfernten Massaker blickt, die die Landkarte der Welt übersäen, diese Gesellschaft, die von so vielen anständigen Bürgern bewohnt scheint, nur darauf achtend, der Natur nicht zu schaden und möglichst wenig Steuern zu bezahlen, diese selbe Gesellschaft, die sich fern von der Barbarei und vom Schrecken glaubt, hat das Gefängnis vor der Tür. Die Existenz eines Ortes, an dem Männer und Frauen in entsprechend eingerichteten stählernen Käfigen eingesperrt gehalten werden, unter der Aufsicht von anderen Männern und anderen Frauen, die einen Schlüssel in der Hand halten, ein Ort, an dem Menschen Jahre für Jahre ihres Lebens verbringen und nichts tun, absolut nichts, ist das höchste Zeichen der Schändlichkeit. Ich schreibe im Gefängnis von Rebibbia und mir ist nicht danach, irgendwas an der Konferenz zu ändern, die ich vor einigen Jahren in Bologna hielt. Nichts kann das Gefängnis verändern. Es ist eine Eiterbeule, die die Gesellschaft erfolglos zu verstecken versucht. Sowie die Mediziner des 17. Jahrhunderts, die die Pest behandelten, indem sie Salben auf die Beulen strichen, aber die Ratten weiterhin zwischen den Abfällen tummeln liessen, so versuchen unsere Fachleute von heute auf allen Stufen der Gefängnishierarchie Schambedeckungen aufzustellen, um diesen oder jenen grausameren Aspekt des Gefängnisses zu verbergen, ohne sich zu überlegen, dass die einzige Möglichkeit, das Gefängnis anzugehen, darin besteht, es zu zerstören. Es zu zerstören, ohne dass davon ein Stein auf dem anderen bleibt.»
Ein Text, der gesprayt an eine Wand in der Nähe des Albisriederplatz und beim Dynamo gesehen wurde. Daneben: «PJZ Niemals!»