Nummer 13 – 8. März 2014

aufruhr 12


AUFRUHR
Nummer 13, Jahr II

Anarchistisches Blatt
Erscheint jeden Monat
Zürich, 8. März 2014


Inhalt:

Nieder mit der Politik!
„Öffentliche Aufforderung zu Verbrechen oder Gewalttätigkeit“
Zwei verschiedene Lebenshaltungen
Ein Toter mehr in den Knästen von Zürich
Unruhenachrichten


Als PDF-Datei.



 

Nieder mit der Politik!


« Es ist ekelhaft für den wahren Menschenfreund, der sich noch etwas Charakter, Ehrlichkeit und Selbstbewusstsein innerhalb der heutigen Korruption bewahrt hat, den Giftpfuhl der sog. Politik zu betrachten und mit grenzenloser Verachtung und Abscheu muss er sich abwenden, denn der Gestank, der dort emporsteigt, ist zu gross und lässt eine Fäulnis erkennen, die wirklich erschreckend ist. Dort nützt kein Ausflicken und Ausbessern mehr, sondern das Übel muss vollständig beseitigt werden. »

 „Der Anarchist“, Nr. 4, St. Louis, 1889

I

In der Logik der Politik existieren die Individuen, existiere ich, nur als Bürger, als politische Subjekte, ich soll meine Entscheidung abgeben, delegieren, an die Institutionen und Personen, die den legalen Rahmen, in dem sich mein Leben abspielen darf, festsetzen. Ich soll mein Privatleben führen dürfen, in den „eigenen vier Wänden“, aber gefälligst soll ich dafür bezahlen, dafür arbeiten, mich ausbeuten lassen. Wenn ich das nicht tue, kann ich vielleicht sogar Sozialhilfe beziehen, wenn ich bereit bin, die Erniedrigung der Ämter über mich ergehen zu lassen. Wenn mir das alles zu dumm ist, dann soll ich wenigstens ruhig sein, mich verurteilen lassen, schön brav die Betreibungsbeamten ins Haus lassen und zufrieden sein mit einer erbärmlichen Existenz zwischen Armut und Knast. Das alles ist meine Privatsache, und wenn ich damit unzufrieden bin, dann darf ich irgendwelchen politischen Organisationen beitreten, die „meine Interessen vertreten“ sollen, meine Meinung „frei äussern“, Petitionen initiieren oder schön friedlich demonstrieren. Kurz, ich darf mich an der Politik beteiligen, ja, das ist sogar erwünscht. Diese Logik soll ich akzeptieren, die mir jede Entscheidung, die die Grenzen „des Privaten“ überschreitet, verunmöglicht, die mich einsperrt in „meine eigenen vier Wände“. Ich soll die Entfremdung akzeptieren zwischen meinem Leben und der Entscheidung darüber, soll akzeptieren, dass alle relevanten Dinge von einer institutionalisierten, legalen Struktur geregelt werden und dass ich meine Individualität zu einem ‚politischen Subjekt‘ degradieren muss, wenn ich mich an dieser Struktur beteiligen will. Wenn… Ja, wenn… Aber ich will das gar nicht. Was ich will, das liegt meilenweit jenseits der Politik…

II

Ich bin gegen Politik, aber: ich werde mich immer in die Angelegenheiten einmischen, die uns alle angehen, will die Wut nicht herunterschlucken und mich in der Resignation um gar nichts mehr kümmern, sondern mir meine Autonomie aneignen und diese Realität angreifen, um die Politik aus unser aller Leben zu vertreiben. Das verwirrt manch Einen, sie denken: „wenn man sich um die Dinge kümmert, die auf der Welt passieren, dann interessiert man sich für Politik und dann soll man gefälligst auch Politik machen.“ Doch, ich kümmere mich eben darum, sehe aber, dass die Politik dazu da ist, die Herrschaft zu reproduzieren; dass das politische Prozedere sich immer nur darum dreht, das Wesentliche, die staatliche Ordnung – beizubehalten. Und diese Gesellschaft, deren Blicke gebannt auf das Spektakel der Politik gerichtet sind, hat sich derart in deren Maschen verfangen, dass die institutionelle Logik mittlerweile jede Beziehung vergiftet. Denn: der Polit-Zirkus genannt Parlament ist ein heimtückischer Trick, der seine verheerende Wirkung nun schon über 150 Jahre beweist. Zwar hat das Parlamentieren zuerst bestimmt den Stolz irgendwelcher Monarchen angekratzt, für die Perfektionierung der staatlichen Ordnung war es aber ein riesiger Sieg. Denn, selbst viele Leute, die den bestehenden Staat eigentlich ablehnen, werden nun als Opposition akzeptiert, wenn sie sich nur an die Spielregeln halten, und so enden sie darin, die Politiker und Parlamente (in grosser oder kleiner Form) nachzuahmen. Und dabei behaupten sie auch noch, etwas zu verändern. Doch, was auch immer sie verändern, sie reproduzieren dabei die Delegation und die Institutionalisierung der Beziehungen, sie reproduzieren den Glauben an Gesetze und das Um-Erlaubnis-bitten, kurz: die stupide Gehorsamkeit des Untertans/des Bürgers.
Denn, jede Politik monopolisiert die Entscheidungen über unsere eigenen Angelegenheiten in einer Struktur, die über unser Leben herrscht. Diese Entscheidungsstruktur kann partizipativ gestaltet sein, oder auch nicht – auf jeden Fall ändert das nichts. Denn das Entscheidungsmonopol hat den Effekt, dass jede autonome Entscheidung und jede Übereinkunft, die sich über die Bestimmungen der Politik hinwegsetzt und sich den Institutionen entzieht, als eine ungesetzliche bestimmt wird. Die Politik mischt sich in unser Leben ein und glaubt, verbindliche Regeln und Gesetze für alle machen zu können. Ob diese Entscheidungen „gut“ oder „schlecht“ sind oder wer sie trifft, interessiert uns hier wenig, denn, ob der Meister nun Zuckerbrot oder Peitsche hervorholt, seine Absicht bleibt es – das steht ausser Frage – uns an ihn zu binden und zu unterwerfen.

III

Und hier kommt die Polizei ins Spiel. Denn, die Politik, sie kann nicht ohne ihre Söldner: die Polizei; und das verrät uns nur schon die Nähe der beiden Worte (Politik und Polizei). Denn die Leute – die der Staat gerne als seine Untertanen (bzw. Bürger) sehen würde – müssen ja davon abgehalten werden, einfach unbekümmert um etwelche Gesetze ihr Leben zu leben, sie müssen arbeiten, Steuern zahlen, Militärdienst leisten, sich an die Gesetze halten, etc… Die politischen Organe, die Parlamente u. ä. wären aber nur ganz lächerliche Diskutierklubs, die ernst zu nehmen wohl niemand einen Grund hätte, wenn ihrem Entscheidungsmonopol nicht das Gewaltmonopol zur Seite stehen würde. Diese Exekutive, die Bullen, Beamten und Militärs, ist heute getrennt von der Legislative, der Gesetzgebung, wie von der Judikative, den Richtern, Schreibtischtätern und ähnlichen Bürokraten, sagen die Bürger, die darauf mächtig stolz sind, und doch war das nur eine ganz lächerliche Reform, die im übrigen im Ernstfall sofort wieder aufgehoben würde. Den Schein dieser Trennung will ich hier nicht nachbeten. Die Politik, die ich hier behandle, lässt sich nicht trennen von ihrer Ausführung, von der Polizei wie von all den Ämtern, Institutionen und Bürokraten, die die Details der Umsetzung perfektionieren. Und das ganze Staatswesen lässt sich nicht trennen von der kapitalistischen Gesellschaft; von der Ausbeutung, die es stützt und den Bonzen, die es beschützt. Die Veränderung, um die es mir geht, richtet sich gegen all das. Ich will meine individuelle Autonomie, will selber über mein Leben bestimmen und ich will in Freiheit mit den Menschen zusammenleben können, und das geht nicht, solange die Politik existiert. Solange irgendwelche Leute über unser Leben bestimmen, sich einmischen; solange die Institutionen existieren und wir unser Leben danach richten lassen. Es geht nicht, solange das Eigentumsrecht besteht, das uns sagt, dass die Welt irgendwelchen Bonzen gehört, solange wir uns in unseren „eigenen vier Wänden“ einschliessen lassen. Solange die Individuen ihre Angelegenheiten delegieren und die ihnen gesetzten Grenzen akzeptieren. Solange die herrschende Passivität nicht durchbrochen wird!

IV

Politik wird getrieben von all denen, die über die Angelegenheiten des Staates und der Gesellschaft bestimmen, oder die die Absicht haben, an die Schaltstellen zu kommen, um dies in Zukunft zu tun.  Solange diese Schaltstellen – die Institutionen – bestehen, werden sie uns immer unseres Lebens enteignen, werden die grossen und kleinen Politiker immer Entscheidungen über Dinge treffen, die sie nichts angehen – unser Leben zum Beispiel – oder das zumindest versuchen. Und auch wenn wir tendenziell im Alltag nur mit der Exekutive zu tun haben, mit Bullen und ähnlichen Beamten, und kaum mit den Politikern – was ihre Behauptung, uns zu repräsentieren, noch lächerlicher Macht – so dürfen wir nicht vergessen, dass die Politiker, die verschiedenen Entscheidungsträger, und ihre Institutionen Namen und Adressen haben. Denn: sie setzen Entscheidungen um, die Beschlüsse der Politiker, und solange wir es zulassen, dass diese Entscheidungen treffen, werden sie immer irgendwelche Idioten finden, die die Machtansprüche ihrer Politik durchsetzen, werden sie immer eine reformierte Version der Polizei, vielleicht in der Verkleidung eines unscheinbaren Sozialarbeiters, erfinden können. Kurz: sie werden noch ihre Institutionen haben, in denen sie sich (re-)formieren können, um ihre Macht aufzubauen. Und deshalb reicht es nicht, einfach die Polizei aus unserem Leben zu vertreiben und unser Leben fortan unbekümmert um die Werte der Herrschaft zu leben, wir müssen auch all ihre Institutionen zerstören, selbst wenn sie sich den Anschein von revolutionären Institutionen (etwas das es nicht gibt) geben. Was ich also meine, ist etwas ganz anderes als schlichtes Desinteresse an der Politik, es ist nicht Desinteresse, sondern Feindschaft, und wir müssen diese Feindschaft immer wieder klar machen, wenn da Leute kommen, die behaupten uns zu repräsentieren; denn: jede Repräsentation ist eine Lüge, die wir nur dadurch widerlegen können, dass wir unseren Widerwillen gegen die Politik in Taten verwandeln.


 

„Öffentliche Aufforderung zu
Verbrechen oder Gewalttätigkeit“

[Wir publizieren folgend einen Text, der vor kurzem veröffentlicht wurde, gemeinsam mit dem betreffenden, inkriminierten Flugblatt, dessen Losung wir, wie wir bekräftigen möchten, vollumfassend teilen.]

Seit dem 6. Januar 2014, als das Test-Bundeslager für Asylsuchende in Zürich Altstetten eröffnet wurde, ist so einiges passiert. Der Kampf gegen dieses neue Herrschaftsinstrument nahm seinen Anfang und drückt sich seit Beginn auf verschiedenste Weise aus. Wir wollen hier über ein spezifisches Ereignis in diesem Kontext sprechen, das dem Staat mit seinem Repressionsapparat ein Dorn im Auge ist.

Flugblätter verteilen, um Ideen zu verbreiten, ist ein seit langer Zeit angewandtes Mittel, um im alltäglichen Leben der Menschen präsent zu sein. Wir sind uns der Farce, der stinkenden Heuchelei der “Meinungsfreiheit“ bewusst, welche uns propagiert wird. Es geht uns in diesem Schreiben also weder darum, die juristische Verletzung eines “demokratischen Rechts“ anzuprangern, noch geht es darum, uns als Opfer der Repression zu präsentieren. Was wir wollen und was uns als wichtig erscheint, ist die Verbreitung unserer Ideen. Zu den von uns gewählten Methoden gehört unter anderem das Agitieren auf der Strasse, welches direkte Begegnungen mit Individuen ermöglicht. So geschah es Ende Januar 2014 zweimal, dass Gefährt_innen beim Flugblätterverteilen von den Bullen auf Grund dessen kontrolliert wurden. Das erste Mal wurden 3 Gefährt_innen vor dem Migros in Altstetten von zwei Zivilbullen kontrolliert und ein Flugblatt wurde konfisziert. Das zweite Mal, nur wenige Tage später direkt vor dem Bundeslager, wurden 7 Gefährt_innen beim Verteilen von Flugblättern und Diskutieren mit den Insassen des Lagers, von ca. 20 Cops, ausgerüstet mit Gummischrot-Gewehren, kontrolliert. Ein Flugblatt, das die “Sichheit, Intervention, Prävention“ (die SIP ist Sicherheitsbeauftragte des Lagers) der Polizei übergeben hatte, wurde gleichermassen konfisziert. Den anwesenden Gefährt_innen wurde eine mündliche Wegweisung für die nächsten 24h erteilt. Nur wenige Tage später flatterte per Post eine polizeiliche Vorladung bei den betroffenen Personen rein, dem folgender Straftatbestand zu entnehmen war: Öffentliche Aufforderung zu Verbrechen oder Gewalttätigkeit.

Was sagt uns das?

Da es offensichtlich ist, dass der staatliche Repressionsappart die abschliessenden Worte des Flugblatts schon als Straftat zu ahnden versucht, ist es wichtig, auf dieses Ereignis genauer einzugehen. Das Bundeszentrum für Asylsuchende ist ein Grossprojekt, dem Bundesratsentscheide zugrunde liegen und dessen Testlauf in Zürich auf keinen Fall irgendwelche Schwierigkeiten aufweisen darf. Deshalb ist anzunehmen, dass der Staat mit solch schnellen Vorstössen gegen Gefährt_innen den Kampf gegen das neu eröffnete Bundeslager im Keim ersticken will. Die Herrschenden sind sich dem konfliktreichen Potential des Testbundeslagers bewusst und bemüht darum, die Asylsuchenden sozial, wie politisch zu isolieren. Was der Staat daher am allerwenigsten will, ist, dass die Menschen, die in diesem gefängnisähnlichen Lager leben, mit aufständischen Ideen in Kontakt kommen, um das Konfliktpotenzial regulieren zu könnnen und die Situation unter Kontrolle zu halten.

Was tun?

Für uns ist es wichtig, diese repressiven Entwicklungen publik zu machen und die möglichen Folgen eines solchen Präzedenzfalls aufzuzeigen. Denn diese bedeuten eine neue Ebene der Repression gegenüber kämpferischen Ideen. Indem die staatlichen Repressionsorgane Ideen strafrechtlich verfolgen, versuchen sie die Agitation im öffentlichen Raum gezielt zu verhindern. Daher ist es umso zentraler, diese neue repressive Taktik zu enttarnen und aufzuzeigen, dass diese Entwicklungen uns alle betreffen.
Weil wir uns von den Herrschenden sicherlich nicht das Maul verbieten lassen, werden wir weiterhin das sagen und schreiben, was wir denken, um der Idee der Freiheit so viel Platz einzuräumen, wie sie benötigt.

In diesem Sinne wiederholen wir mit lauter Stimme nur allzu gerne das, was sie uns zu verbieten versuchen:

Auf dass alle verantwortlichen Institutionen dieses neuen Gefängnisses brennen mögen!


 

Zwei verschiedene Lebenshaltungen

 

Es gibt verschiedene Haltungen, das Leben anzugehen, ich werde mich hier damit beschäftigen, von den beiden Haltungen zu sprechen, die meiner Meinung nach am weitesten verbreitet und am bedeutendsten sind. Die erste besteht darin, sich an die Umstände anzupassen, worin man sich befindet, das heisst, in diesen Umständen eine Grenze zu sehen, worin man sich einschliesst. Diese Haltung anzunehmen, bedeutet, es hinzunehmen, seine Verlangen und seine Ambitionen auf das zu beschränkten, was man in dem Kontext, worin man lebt, für realistisch hält. Die zweite Haltung hingegen ist diejenige, die dazu neigt, diese Umstände nicht als Grenzen zu betrachten, sondern vielmehr als etwas, das es zu überwinden gilt, um unsere Verlangen und unsere Ideen zu verwirklichen, wie unrealisierbar sie auch scheinen mögen. Es versteht sich von selbst, dass diese beiden Haltungen mit unterschiedlichen Denk- und Handlungsweisen verbunden sind.

Die realistische Kurzsichtigkeit

Im ersten Fall hat die realistische Kurzsichtigkeit die Oberhand: „Wieso etwas begehren, das es sowieso nicht möglich scheint, zu erreichen? Kommen wir mit den Füssen auf den Boden und versuchen wir lieber, etwas zu erreichen, das in unseren Möglichkeiten liegt, dann eines Morgens, wenn wir dazu fähig sind, werden wir anderes begehren können.“ Die grösste Sorge besteht darin, zu überleben. Es ist die typische Sorge der Krämer, die in jeder Situation versuchen, auf einer Waage die möglichen Risiken, die man eingeht, auf einem Teller, und die möglichen Profite, die erreichbar sind, wenn man diese Risiken eingeht, auf dem anderen Teller abzuwägen. Es ist unnötig, zu sagen, dass all diese Berechnungen dazu neigen, die Individuen wenig bereit zu machen, ihre Situation, so elend sie auch sein mag, einem Risiko auszusetzen, es sei denn, dass sie Gewissheit über den wahrscheinlichen Erfolg ihrer Aktionen haben. Die von diesen Individuen bevorzugten Strategien, um etwas zu erreichen, sind schliesslich das Warten auf bessere Zeiten (worin die Risiken für denselben Profit geringer werden) und die Verbesserungen, die durch das Verhandeln mit der Gegenpartei erreicht werden. Die realistische Kurzsichtigkeit ist wenig zu den grossen Veränderungen geneigt, und ist somit tendenziell eine konservative Mentalität.

Eine andere Beziehung zur Welt

Im zweiten Fall hingegen will das Individuum seine Ideen und seine Verlangen verwirklichen, ohne sich allzu sehr um die Gleichgültigkeit oder sogar die soziale Feindseligkeit zu kümmern, die es über sich ergehen lassen muss. Die Umstände werden nicht mehr als Grenzen betrachtet, sondern vielmehr als ein Ausgangspunkt für eine Veränderung. Die grösste Sorge besteht nicht mehr darin, bloss zu überleben, sondern vielmehr darin, ausgehend von der jeweiligen Realität, herauszufinden, wie man es schaffen kann, seine Ideen zu verwirklichen, egal wie masslos oder unakzeptiert diese sein mögen. Dies ist die Haltung, die in der Geschichte von unzähligen Rebellen und Personen zu eigen gemacht wurde, die den Mut gefunden haben, sich zu behaupten und, in einer Gesellschaft, die nicht bereit war, sie zu akzeptieren, für ihre Ideen zu kämpfen, ohne sich um den Preis zu kümmern, den sie hätten bezahlen mögen, und ohne die geringste Garantie auf Erfolg. Dies ist, woraus die grossen Veränderungen innerhalb der Gesellschaft entsprungen sind (über diese Veränderungen liessen sich Schwalle von Tinte vergiessen, es geht hier nicht darum, aufzuzeigen, ob diese Veränderungen positiv oder negativ gewesen sind, sondern vielmehr darum, zu unterstreichen, dass sie aus der Rebellion von Individuen entsprungen sind).

Der Bezug zur Organisation

Diese beiden Haltungen gegenüber dem Leben, die in den Individuen zugegen sind, spiegeln sich auch in der Art und Weise wieder, wie sich diese Individuen organisieren und die eigenen Ideen vorantragen. Wenn wir die anarchistische Bewegung betrachten, ist es ziemlich leicht, sie in ihren unterschiedlichen Ausdrucksformen und ihren inneren Konflikten zu erkennen. Auf der einen Seite haben wir eine Bewegung, die mehr darum besorgt ist, sich, als Zweck für sich, in einer permanenten Organisation zu konstituieren, deren Ziel das eigene quantitative Wachstum und das eigene Überleben ist, in Erwartung von Bedingungen, die als für eine Revolution optimal betrachtet werden (stets vorausgesetzt, dass das Konzept von Revolution nicht aufgegeben wurde). Diese Bewegung hat sich die Krämermentalität zu eigen gemacht, indem sie die Logik der kleinen Schritte akzeptiert und für eine allmähliche Verbesserung der Bedingungen oder für die Verteidigung der Rechte kämpft, die von den Arbeitern, den Migranten, den Frauen… erlangt wurden, ohne sich darum zu kümmern, wie diese Verbesserungen erlangt werden. Es handelt sich um eine Bewegung, die um alles fürchtet, was sie zu verlieren hat (Rechte, Privilegien, Gunst der öffentlichen Meinung…), also nicht zum Risiko geneigt und bereit, mit dem Finger auf all jene zu zeigen, die sie, mit ihren Aktionen und ihren Ideen, in Gefahr bringen können.

Auf der anderen Seite haben wir eine Bewegung, die fliessender ist, die die Tatsache, sich zu organisieren, auf eine radikal andere Weise auffasst. Die Organisation, falls sie konzipiert wird, ist nicht permanent, sondern etwas temporäres, deren Zweck einzig die Realisierung der Ziele ist, die zu Beginn festgelegt wurden. Wenn diese Ziele einmal erreicht wurden (oder nicht erreicht wurden, je nach dem), hat diese Organisation keinen Grund mehr, weiterzubestehen, und löst sich somit auf. Die Sorge um das Überleben der Organisation existiert nicht mehr. Diese Bewegung ist eher bereit, sich aufs Spiel zu setzen, ohne zu warten, da sie von den gegenwärtigen Bedingungen ausgeht, ohne auf die idealen Bedingungen zu warten, um darüber nachzudenken, wie die herrschende Lage der Dinge umgewälzt werden kann, und zu handeln.

 


 

 Ein Toter mehr in den Knästen von Zürich

[Der folgende Text zirkulierte als Flugblatt auf den Strassen von Aussersihl]

In den Zeitungen reichte es gerade mal für ein paar Zeilen: ein etwa vierzig jähriger Mann, der wegen Verdacht auf Diebstahl seit beinahe vier Monaten in Sicherheitshaft sass, starb letzten Montag in dem Gefängnis beim Kanzleiareal (BGZ). Der Fall werde untersucht, Fremdeinwirkung werde jedoch ausgeschlossen.
Einen Moment mal! Wie bitte? Nicht so vorschnell, meine Damen und Herren!
Natürlich, in den Augen der Justiz und Gesetzeswächter, sind es die Zahlen die zählen, die Fakten und Statistiken. So à la: „Tja, einer mehr tot, einer weniger im Knast. Aber wir liegen noch immer im Schnitt“. Da werden Individuen fleissig kontrolliert, beschuldigt, kriminalisiert, angeklagt, eingesperrt und HOPP, der Nächste, bitte! Wie am Schnürchen läuft das. Dabei ab und zu ein bisschen Korrektheit hier und ein wenig Respekt da einzusträuen, ist nichts als purer Zynismus und Hähme derjenigen, die ihr Brot mit dem Verwalten und Halten von Menschenleben verdienen. Der Bullen, Wärter, Richter und Schreibtischtäter aller Arten und Farben. Diejenigen, die diese Vergewaltigung Notwendigkeit und Ordnung nennen.
Lasst uns also nicht um den heissen Brei herum reden:
Wenn jemand in ihren Polizeikasernen, Knästen, Lagern und Institutionen stirbt, egal ob es nun Suizid oder natürlicher Tod genannt wird, handelt es sich immer um einen Mord! Ein Mord begangen durch den Staat, seine Helfer und seine Verteidiger. Diejenigen, die vorgeben, die Kriminalität mit allen Mitteln und im Schweisse ihres Angesichts zu bekämpfen. Diejenigen, die über Leichen gehen, um sich ihre Macht und Autorität zu sichern. Sie sind die echten Kriminellen!
Lassen wir sie uns vorknöpfen und ihnen das Handwerk legen!


 

Unruhenachrichten

 

Wenn die Schweizer Wählerschafe protestieren

Am Sonntag, dem 2. Februar, hat sich wieder einmal das wunderbare Wesen der Demokratie bewiesen. Knapp mehr als die Hälfte der Schweizer Wählerschafe bestimmte, dass fortan nur noch eine gesetzlich regulierte Menge an Nicht-Schweizern, ihr ach so schönes, demokratisches Vaterland betreten dürfen. Die linke Hälfte der Wählerschafe war darüber natürlich kräftig empört, und wollte sodann dagegen protestieren. Sie konnten sich nicht wirklich damit abfinden, dass im Spiel der Demokratie, das sie so treu mitspielen, nunmal immer eine Seite verliert, und dass sie diesmal die Verlierer sind. Aber, zu ihrem Erstaunen, fanden sich an der abendlichen Demo nicht nur enttäuschte Wähler, sondern auch manche ein, die das falsche Spiel der Politik so oder so – und sei es auch demokratisch – zum kotzen finden. Als angemessener Ausdruck dieser Verachtung haben sie zum Mittel des Vandalismus gegriffen; und schon sahen sich einige der treuen Schafe veranlasst, zu beweisen, auf welcher Seite sie, trotz allem, stehen… Sie versuchten, zu verhindern, dass ihnen die Demonstration aus den Händen gerät (denn die uniformierten Bullen hielten sich, wieso, das kann sich jeder selber fragen, aus der Inszenierung zurück), und zwar, indem sie selbst die Bullenrolle übernahmen und versuchten, die Vandalen festzuhalten und anzugreifen, welche die umliegenden Institutionen verunstalteten. Nun, einige dieser „pazifistischen“ Bullen erhielten scheinbar eine Behandlung, wie sie ihrer Rolle entspricht.
Diese Leute, gute Demokraten, aber dann doch zu inkonsequent, das demokratische Spiel zu akzeptieren, halten sich für etwas grundlegend Anderes als die SVP-Idioten, und dabei akzeptieren sie dasselbe System, das Entscheidungen wie dieses Gesetz ermöglicht, akzeptieren sie die Politik – und damit sind sie Teil der Verantwortlichen dafür.

Das Asylregime sabotieren

Vor einiger Zeit fanden die Mitarbeiter der Asylorganisation Zürich (AOZ) die Scheiben des Eingangsbereichs ihres Büros eingeschlagen vor. Daneben an der Wand befleckte die Botschaft: „Asylregime sabotieren, AOZ angreifen“ die weisse Weste, mit der sich diese Organisation gerne präsentiert. Aber die Ausschaffungsmaschinerie besteht nicht nur aus dem Bullen, der die illegalen Migranten verhaftet, und den Ausschaffungsknästen, die sie gefangen halten, sondern auch aus Organisationen wie der AOZ, die, unter humanitärem Deckmantel, dafür sorgen, dass sich die Migranten in den Lagern schön ruhig verhalten, sich nicht dagegen auflehnen, wie Tiere behandelt zu werden, und sich allmählich in das hiesige Wirtschaftssystem integrieren, um sich wie alle anderen (nur noch bedingungsloser, da aufgrund ihrer Situation leichter erpressbar) ausbeuten zu lassen. Dies ist es nämlich, und nichts anderes, worauf das demokratische Gefasel über Integration hinausläuft.


 

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