Nummer 4 – Februar 2013

aufruhr 4


AUFRUHR
Nummer 4, Jahr I

Anarchistisches Blatt
Erscheint jeden Monat
Zürich, Februar 2013


Inhalt:

Gesellschaft oder Gefängnis?
Ägypten in Revolte
Vom Gefängnis Namens Gesellschaft, den Bullen und ihren feuchten Träumen?
Unruhenachrichten
Zitate


Als PDF-Datei.


 

Gesellschaft oder Gefängnis

Eine der offensichtlichsten Charakteristiken der heutigen Gesellschaft ist unserer Ansicht nach die immer durchdringendere Präsenz der Kontrolle in jedem Bereich des sozialen Lebens. Kontrolle verstanden als die Fähigkeit einer Gesellschaft, die für unangepasst gehaltenen Verhaltensweisen ausfindig zu machen und zu bestrafen und weitere Zuwiderhandlungen zu verhindern, und somit die eigene Stabilität sicherzustellen. Was sich im Vergleich zur Vergangenheit verändert hat, ist nicht die Verhärtung der Gesetze, sondern die Fähigkeit, ihnen Respekt zu verschaffen.
Diese soziale Kontrolle wird durch unterschiedliche Faktoren ermöglicht, die von der technologischen Entwicklung über die Mentalität und die Kreierung der Identität des Bürgers bis zur Verwaltung der Städte reichen (welche eine weitere Vertiefung verdienen, die wir vielleicht in einem anderen Artikel machen werden).
Die Kontrolle in unserer Gesellschaft kann die verschiedensten Formen annehmen, von der Einsammlung von Informationen bis zur rohen Repression der für unangepasst gehaltenen Verhaltensweisen, bis zur subtileren Suche nach Zustimmung. Wenn wir von Kontrolle sprechen, ist die Verantwortung also nicht in einer einzelnen Struktur zu suchen, sondern vielmehr in der gesamten Gesellschaft und in jedem ihrer Organe (Bürokratie, Polizei, Kontrolleure, Privatdetektive, Politiker und soger einfache Bürger).
Die Ausübung der Kontrolle geschieht also nicht nur durch die Anwendung aller zur Verfügung stehenden Mittel, um mehr oder weniger offensichtlichen sozialen Zwängen, wie beispielsweise den Gesetzen, Respekt zu verschaffen, sondern auch durch die Prävention von Verhaltensweisen, die nicht an das gute Funktionieren der Gesellschaft angepasst sind, beispielsweise durch die Erpressung der Arbeit: Es gibt keine Gesetze, die zur Arbeit verpflichten, doch, ohne zu arbeiten, wird für viele das tägliche Überleben unmöglich.
Wer sich diesem Regime verweigert oder es schlicht nicht aushalten kann, oder wer rebelliert, wird mit weiteren Einschränkungen, mit (durch Arbeiten) zu bezahlenden Geldstrafen bestraft, oder in einigen Fällen in einem wahrhaftigen Gefängnis weggesperrt.
Unsere Welt ähnelt also immer mehr einem Gefängnis, einer kontrollierten Umgebung, in der das Leben, das uns erlaubt wird, und zu dem wir bestimmt sind, ein Leben aus Arbeit, Ablenkung und Wohnung ist, das Ganze innerhalb der Grenzen der Gesetzlichkeit, die von der Gesellschaft selbst festgelegt wurde. Wir befinden uns in einem Gefängnis, in dem die Stunden des Hofgangs in Wochenenden, Freitagen und Ferienwochen pro Jahr gezählt werden, in dem sich die Isolation in unseren Beziehungen mit anderen zeigt, die durch den enormen Gebrauch von Fernkommunikationsmitteln distanziert erlebt werden, welche nicht so sehr gebraucht werden, um geografische Distanzen zu überwinden, sondern um existenzielle Schranken zu überwinden, und in dem die Mauern und Gitterstäbe vom alltäglichen Trott geschaffen werden, der uns zur Frequentierung derselben Orte und zur Wiederholung derselben Strecken zwingt.
Um sich der Existenz der Mauern und der unsichtbaren Ketten dieses Gefängnisses bewusst zu werden, so genügt es, (freiwillig oder unfreiwillig) auf der falschen Seite ihrer Gesetze und ihrer Moral zu stehen, oder sich zu weigern, sich vor der Erpressung der Arbeit zu beugen, um sogleich ihren repressiven Apparat auszulösen.
Wenn die Arbeit, der Konsum und die Wohnung im Zentrum unserer Gesellschaft und unserer Lebensweise stehen, dann können wir die Hypothese aufstellen, dass sich auch die Kontrolle hauptsächlich in eben den physischen Orten der Arbeit, des Konsums und der Wohnung konzentriert, sowie auf den Strecken zwischen diesen Orten (öffentlicher Verkehr). Es wird also einfach, einige unserer freiwilligen und unfreiwilligen „Gefängniswärter“ zu identifizieren, da sie es sein werden, die uns in diesen Bereichen unseres Lebens kontrollieren: die Chefs und die Arbeitskollegen, die unsere Produktivität in den Stunden kontrollieren, die wir aufbringen müssen, um unser Überleben zu verdienen; die Kontrolleure in den öffentlichen Verkehrsmitteln, die zu dem Übel, jeden Tag arbeiten zu müssen, den Witz hinzufügen, uns bestrafen zu wollen, wenn wir uns weigern, zu bezahlen, um an die Orte unserer Ausbeutung zu gelangen; die Familie als Institution, einer der Stützpfeiler der Gesellschaft, die die Reproduzierung der sozialen Werte gewährleistet und Druck ausübt, damit wir nicht auf dem „schlechten Weg“ der Subversion landen; die Privatdetektive in den Supermärkten, die uns an einer Umverteilung der Reichtümer hindern und sicherstellen wollen, dass unser Geld in den Taschen unserer Ausbeuter landen.
Ohne die Polizei zu vergessen, den Garanten der Gesetze des Staates, der sich darum kümmert, uns in jedem anderen Bereich unseres Lebens zu kontrollieren.
All dies sind einige der „Gefängniswärter“, mit denen wir uns konfrontiert sehen, wenn wir eine wirklich freie Gesellschaft kreieren wollen, eine Gesellschaft ohne Kontrolle, in der jeder für sich selbst und für die eigenen Entscheidungen verantwortlich ist, ohne von anderen kontrolliert werden zu müssen. Und von eben diesen müssen wir uns entledigen, wenn wir das soziale Gefängnis zerstören und den Weg der Freiheit einschlagen wollen.

 


 

Ägypten in Revolte

Immer wieder massive und konfrontative Demonstrationen, Blockaden der Metrolinien, Strassen und Züge, Angriffe auf Polizeiposten, den Präsidentschaftspalast und Luxushotels, Befreiungsversuche von Gefangenen, dutzende brennende Büros der islamistischen Regierungspartei, Konfrontationen zwischen Revolutionären und Anhängern der religiösen Diktatur. Nichts scheint vorbei in Ägypten. Im Gegenteil, die Revolten begannen sich in den letzten Monaten wieder zu häufen und scheinen einen immer unkontrollierteren Charakter anzunehmen. Die Oppositionspolitiker und Bewegungsführer aller Art, die diese Revolten gerne für ihre eigenen Machtbestrebungen kanalisieren würden, scheinen immer mehr den Zugriff zu verlieren. Denn in vielen Köpfen, vor allem in den jungen, beginnen die Illusionen über Politik und Parteien zu zerfallen, während die unterdrückerische Funktion des Islamismus entlarvt und angegriffen wird. Vielen wird deutlich, dass, ob unter Mubarak, Morsi, oder irgendeinem anderen Regime, weiterhin jegliche Revolte und jeder Freiheitsschrei brutal niedergeschlagen werden wird und sich ihre alltäglichen Bedingungen von Ausbeutung und Unterdrückung nicht ändern werden. Einmal das Gefühl der Revolte gekostet, spüren sie, dass der einzige Weg, aufrecht zu leben, im ständigen Kampf für die Freiheit liegt…

Politische Revolution oder soziale Revolution?

Wenn in den Medien vom Frühling 2011 in Nordafrika sowie von den aktuellen Ereignissen in Ägypten gesprochen wird, wird oft von einer „Revolution“ und von einer „Opposition“ gesprochen. Die Journalisten, in ihrem bornierten Verständnis als staatstreue Schreiberlinge, können sich eine Revolution nur als die gewaltsame Ersetzung eines bestehenden Regimes durch ein Regime der „Opposition“ vorstellen. Sie können nicht verstehen, dass das, was die Armen und Freiheitsliebenden in Ägypten sowie überall auf der Welt immer wieder zur Revolte antreibt, eine Lebensbedingung ist, die unter egal welchem Regime bestehen bleiben wird. Denn, solange es Regierungen gibt, wird es auch den Gegensatz und den Konflikt zwischen Machthabern und Unterdrückten, Reichen und Armen, Ausbeutern und Ausgebeuteten, dem Autoritätsprinzip und der Freiheit geben. Das, was so viele zur Revolte antreibt, ist ein soziales Verhältnis, geprägt von Untersdrückungsformen aller Art, das die Gesamtheit unseres Lebens durchdringt, und dieses Verhältnis kann nicht durch irgendeine „politische Revolution“, sondern nur durch eine tiefgreifende und soziale Revolution umgewälzt werden. Diesen Unterschied möchten wir betonen. Während eine politische Revolution bloss die Führungskräfte austauscht, die dann vielleicht demokratischer, vielleicht liberaler das Leben der Menschen regieren, will eine soziale Revolution jegliche Führung beseitigen und alle Menschen dazu befähigen und antreiben, direkt zur Erschaffung von neuen Formen des Zusammenlebens beizutragen. Während die politische Revolution in den Palästen der Macht geschieht, spielt sich die soziale Revolution auf den Strassen, in den Köpfen und in den Beziehungen der Menschen ab. Es ist also nicht eine politische Veränderung, die die sozialen Verhältnisse umwälzen wird, sondern die Beseitigung der Politik, auf dass das Leben in seiner Gesamtheit wieder von allen selbst in die Hand genommen wird und auf der Grundlage der individuellen Autonomie, der Solidarität und der gegenseitigen Hilfe, ein freies und selbstorganisiertes Leben entstehen kann – ohne Staat und ohne Regierung.

Und hier?

Wenn die Aufstände in Ägypten von der friedlichen Insel der Schweiz aus durchaus von einigen als „legitim“ betrachtet werden, dann meistens mit der Begründung, dass das Regime dort ja doch schon sehr brutal sei. Hier aber, hier leben wir ja in einer humanen und wohlhabenden Gesellschaft. Doch versucht es nur, und entzieht euch einmal dem Willen und dem Gesetz des Staates hier, verweigert seine Autorität und revoltiert gegen ihn, und ihr werdet sehen, dass auch dieser Staat nicht zögert, sich mit brutalen Mitteln durchzusetzen. Im Moment hat er seine Regierungstechnik auf die Befriedung der Bevölkerung ausgerichtet, und bislang funktioniert das auch, doch sollte es hier zu grösseren Revolten kommen, würde auch er nicht zögern, sie wenn nötig blutig niederzuschlagen. Wie er es in der Blutnacht von Genf 1932 getan hat, als bei einer antifaschistischen Kundgebung 13 Demonstranten erschossen und 60 verletzt wurden, oder bei den zahlreichen Arbeiterstreiks, die von der Schweizer Armee tödlich niedergeschlagen wurden. Dass solche tödlichen Repressionen gegen seine Untertanen meist mehr als 50 Jahre zurückliegen, liegt weniger daran, dass sich das Verhalten des Staates gegenüber Ungehorsam und Revolten verändert hat, sondern vielmehr daran, dass es ihm besser gelang, uns ruhigzustellen und die Bedingungen akzeptieren zu lassen, indem er uns mit Waren, Unterhaltung und Dienstleistungen vollstopft; daran, dass es ihm gelang, den Konflikt zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten, Bossen und Arbeitern, Reichen und Armen in der Illusion eines sozialen Friedens einzuwiegeln, die uns vorschaukeln will, dass wir doch alle im selben Boot sitzen*.
Doch es ist stets in Situationen der Revolte, in denen am deutlichsten hervorbricht, unter was für Verhältnissen wir eigentlich leben, in denen der Staat sein wahres Gesicht zeigt, brutal und schonungslos, das er ansonsten hinter der sanften Verwaltung des sozialen Friedens verbirgt. Dass sich auch der Schweizer Staat, wie übrigens alle europäischen Staaten um uns herum, auf solche Situationen der Revolte vorbereitet, um sich gegebenenfalls mit ausreichend Gewalt durchsetzen zu können, davon sprechen Projekte wie die neugegründeten „Aufstandsbekämpfungseinheiten“ des Militärs oder die allgemeine Aufstockung des Polizei- und Gefängnisarsenals (wie beispielsweise mit dem Bau eines neuen Polizei- und Justizzentrum in Zürich).

Solidarität

Nun, wir erkennen uns also in den aufständischen und befreienden Handlungen wieder, die sich zurzeit in Ägypten ereignen, nicht nur, weil wir den Drang nach Revolte unter den Umständen dort unten nachvollziehen können, sondern, weil wir diesen Drang auch unter den Umständen hier verspüren. Unsere Solidarität mit den Aufständischen von Ägypten besteht also darin, ihren Befreiungskampf zu teilen, da, wo wir sind, mit unseren eigenen Problemen und unseren eigenen Verlangen – für die soziale Revolution.

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* Wir verweisen auf den Artikel „Sitzen wir alle im selben Boot?“ aus der Nummer 3 des Aufruhr


 

Vom Gefängnis Namens

Gesellschaft, den Bullen und

ihren feuchten Träumen

Die wirkliche Bedeutung der Knäste (das heisst: dieser Bauten, mit Zellen, wo Leute eingesperrt sind) enthüllt sich erst, wenn wir die Knäste nicht länger isoliert wahrnehmen, sondern sie als essenziellen Bestandteil dieser Gesellschaft sehen.
Wenn wir vom Gefängnis sprechen, dann kommen natürlich vor allem auch die Bullen in den Sinn. Die Bullen sind diejenigen, die wir auf der Strasse antreffen, die Leute festnehmen, in Knäste stecken und dort festhalten. Es sind diejenigen, die uns erwischen könnten, wenn wir mal wieder etwas verbotenes tun…

Die Angst vor dem Pöbel

Unvoreingenommen betrachtet sind die Bullen eine Gruppe von Menschen, die sich für nichts anderes organisieren, als nach Menschen zu jagen, die ihre idiotischen Gesetze nicht respektieren, um diese dann zu bestrafen und einzusperren. Das spezielle ist allerdings, dass diese Menschen dafür respektiert werden, weil sie die Gesetze vertreten, die – so wird es an allen Schulen gelehrt – uns alle vor noch viel schlimmeren Zuständen bewahren sollen. Und so, anstatt dass diese Idioten, die glauben, alle hätten nach ihren verkappten Vorstellungen zu leben, auch wie Idioten behandelt werden, müssen wir sehen, dass sich die ganze Gesellschaft längst ihren Vorstellungen unterworfen hat – die Gesellschaft denkt, wir hätten nach diesen Gesetzen zu leben, und unterstützt die Bullen, die ihnen garantieren, das alles so bleibt, wie es ist – beschissen.
Diese Menschen leben in einer und erschaffen stetig eine Welt, die nach den Regeln der Bürger-Freiheit, des heiligen Eigentums, et cetera gebaut ist. Jener Bürger-Freiheit, die eben – wie wir immer wieder betonen müssen – genau gar nichts mit individueller, unbeschränkter Freiheit zu tun hat, sondern nur eine Verstümmelung davon ist, die die Individuen auf ein Bürger-Subjekt reduziert, das sich am Hofe des Souveräns zu benehmen weiss und sich – natürlich – an die Gesetze hält. Und diese Bürger fürchten sich vor dem Pöbel, der das Eigentum nicht respektiert, und den Souverän erst recht nicht, der dieses Eigentum erst ermöglicht. Und deshalb schreien sie nach Brot und Spielen, damit der Pöbel befriedet werde, und deshalb lieben sie die Polizei in all ihren Formen, rufen nach ihr, damit sie ihre kleine heile Welt beschütze…
Nun, wir wollen uns aber nicht länger befrieden lassen, von Brot und Spielen, von Partys um den Rest der Woche zu vergessen, von Games und TV, um gar nichts mehr zu denken. Das ganze langweilt uns nicht nur, es macht uns auch noch kaputt. Die Freizeit ist bloss der Hofgang, in diesem Gefängnis, in dem wir uns verkaufen müssen, um genügend Geld zu haben, um in ihm zu verrotten. Aber wir wollen nicht arbeiten, um irgendetwas zur Existenz dieser bescheuerten Gesellschaft beizutragen. Wir nehmen uns, was wir brauchen, wir wollen uns unser Leben nicht verDIENEN, sondern nehmen. Die ganze Maschinerie, die unsere Unterdrückung aufrechterhält, betrachten wir einzig mit der Absicht, sie zu zerstören…

Gefangene dieser Gesellschaft

Nicht nur, dass die Bullen und ihre Freunde uns schon hinter Schloss und Riegel sehen wollen, bloss weil wir uns nehmen, was wir brauchen (ohne es verDIENT zu haben), ohne zu betteln (wobei man selbst für das bestraft werden kann), nein, wir wollen ihnen auch noch ihr System kaputt machen. Diese Absicht, die eigentlich ziemlich naheliegend ist, wollen sie schnellstmöglich als etwas Absurdes, Unmögliches abtun, und mit der allanwesenden Überwachung und der Drohung mit Knast ersticken. Da das Ende des Systems aber gar nicht so absurd ist, machen sie die Gesellschaft selbst immer mehr zum Gefängnis, sperren uns in sie ein. Wollen wir aus dieser Gesellschaft fliehen, sehen wir bald, dass diese ein Gefängnis ist, die Mauer ist zwar unsichtbar, aber spürbar, und wer sie überwinden will, wird eben ihre Wächter kennenlernen, die uns dann, je nach Art des Fluchtversuchs, in ein physischeres Gefängnis sperren wollen, den Knast oder die Psychiatrie, wenn sie es nicht schaffen, uns durch bloss pädagogische Massnahmen oder Pillen unschädlich zu machen. Es ist keineswegs bloss metaphorisch gemeint, dass diese Gesellschaft ein Gefängnis ist. Sie ist ein Freiluftgefängnis – auch wenn die Luft ziemlich verpestet ist –, die ganze Architektur der Städte, panoptisch übersichtlich, kontrolliert und überwacht, die Schulen, in die die Kinder gepfercht werden, die Arbeitsstätten, et cetera, beweisen Tag für Tag, dass sie das ist. Die Knäste verhalten sich zur Gesellschaft heute ungefähr so, wie die Isolationshaft zum Normalvollzug.
Die Polizei führt aus ihrer Sicht natürlich „nur“ die Exekutive über das staatliche Territorium aus, für die Regierung, die die Bevölkerung verwaltet; in ihren Augen ist es gleichgültig, ob ein Mensch im Knast sitzt, es ist nur eine administrative Frage, um einen Teil der Gesellschaftsmaschine wieder Funktionstüchtig zu machen oder ihn ganz einfach besser verwerten zu können. Um die Gesellschaft von den bösen Verbrechern zu bewahren. Um einen Teil der Gesellschaft, der ihre Grenzen übertritt, in noch kleinere Grenzen zu sperren, an die Isolation zu gewöhnen, um sie dann draussen wieder in die Zellen der Wohnblöcke zu sperren…
Der einzige Grund, diese Gesellschaft nicht als Gefängnis zu erkennen, ist der, dass sich anscheinend die wenigsten ein freies Leben vorstellen können oder wollen, ein freies Leben, in dem der Fleck der Erde, auf dem du gerade stehst, dir und allen gehört, und nicht irgendeinem Privateigentümer, dem Staat oder wem auch immer. In dem die Welt dir und allen gehört, und nicht irgendeinem (Gewalt-)Monopolisten, der dir sagt, was du wo, wann, wie machen darfst oder musst.

Ein feuchter Traum der Bullen

Nun, wenn wir diese Gesellschaft, samt Privateigentum und Staat, zerstören wollen, um frei und nicht ihre Gefangenen zu sein, wissen wir gar nicht, wo wir ansetzen sollen, um sie anzugreifen. Denn wir leben auf dem Territorium des Staates und da ist es sonnenklar, dass sich an jeder Ecke seine Institutionen (und die seiner Bürger und Helfer) finden lassen. Da wir aber eben so vieles sehen, das uns wütend macht, das wir zerstören wollen, ist es schwer, sich auf etwas spezifisches zu konzentrieren, aber trotzdem wichtig, denn irgendwo muss man ja anfangen. Deshalb die Idee, das PJZ (Polizei und Justiz-Zentrum) zu verhindern, das als Drohung über dieser Stadt schwebt, um die ohnehin komplett militarisierten „Problemviertel“ komplett zu befrieden. Das PJZ, ein „Kompetenzzentrum für die Bekämpfung der Kriminalität“, das für die Bullen, Politiker, Profiteure und Bürger, den feuchten Traum repräsentiert, endlich den Pöbel loszuwerden, die Kontrolle auf ein neues Niveau zu heben.
Die Idee, das PJZ zu verhindern, ist der Versuch, eine aufständische Dynamik gegen dieses Projekt der Macht zu enwickeln, in der sich diffuse, anonyme Aktionen gegenseitig puschen und ihren Schaden multiplizieren. Die Idee ist, sich die Struktur, die das Ganze ermöglichen soll, etwas genauer anzuschauen, um sie zu sabotieren. Es gibt viele, die für dieses Projekt verantwortlich sind, für es arbeiten, davon Profitieren. Sie alle sind angreifbar. Angreifbar, durch direkte Aktion, Sabotage und Aufruhr. Durch die Mittel, die dir gefallen. Du musst kein Held sein, um anzugreifen. Es gibt viele Wege, manche schwieriger, gefährlicher, manche weniger. Schon ein paar kaputte Pneus, Zucker im Tank oder ein Zündwürfel kann einigen Schaden anrichten. Vor allem, wenn sich immer mehr Menschen – vielleicht ermutigt durch andere Aktionen – zum Angriff entschliessen, wäre es möglich, dass das PJZ ihr feuchter Traum bleibt, und es für sie bald ein böses Erwachen gäbe, weil immer mehr Menschen nicht nur Nein sagen, sondern auch handeln, und sich gegen diesen Bullentraum erheben, um ihn unmöglich zu machen…


 

Unruhenachrichten

Die Jugend von Heute…

Leider müssen wir immer öfter davon hören, dass junge Leute ihre besten Jahre damit verschwenden, zu beweisen, dass sie wohl schon effektiv zu erbärmlichen Verteidigern dieser Ordnung erzogen wurden. So am 31.1. diesen Jahres in Schaffhausen. Vier 12 bis 14-jährige Mädchen sahen eine Frau, die sich vor einer Kleiderboutique eine Jacke besorgte. Wie gute Bürger schon sehr jung eingetrichtert bekommen, ist es „Diebstahl“, wenn nicht bezahlt wird, und so stellten sie dieser Frau nach und riefen die Bullen. Diese kamen, verfolgten die Frau und nahmen sie fest, da sie sich „sehr unflätig und ausfällig benahm“. Jetzt wird sie vor den Richter gezerrt, weil sie sich am Vortag der Delikte „Leute belästigen“ und „kein Gewähr für Ruhe und Ordnung“ schuldig gemacht habe (wohl zwei besonders lächerliche Paragraphen). Aber zurück zu den Vier Mädchen: Solch erbärmliche Gestalten züchtet diese Gesellschaft, der Stasi würdig, die helfen, diese Gefängnis-Gesellschaft zu beschützen, dass wir uns wirklich fragen, wo den das Potenzial der Jugendlichen abgeblieben ist. Schon junge Leute werden mit der kranken Ideologie des Legalismus vergiftet, anstatt dass sich diese Leute den Fängen der Kleinfamilie und Schule, diese Brutstätten von Bürgern, entziehen, und wie normale Kinder „Scheiss machen“ und das Leben entdecken…

Eine zu begrüssende Haltung

Gleich zwei Mal in diesem Monat konnten wir hier in Zürich von einer Haltung gegenüber den Bullen hören, die wir nur begrüssen können.
Am 2. Februar weigerte sich ein Schwarzfahrer in Schlieren, den Kontrolleuren seinen Namen zu geben, als dann die Bullen kamen, fügte er sich nicht einfach kleinlaut und ergab sich seinem Schicksal (das für ihn wohl Knast bedeuten würde), sondern ergriff die Flucht. Die Bullen liessen nicht von ihm ab, sodass dieser Mann zweimal auf sie zu schiessen begann. Nach einer weiteren Flucht mit einem Fahrrad wurde er schliesslich leider verhaftet.
Ein weiterer scharfer Angriff auf die Autorität der Bullerei geschah im Kreis 4, als Morgens gegen zehn Uhr ein Bullenwagen beschossen wurde. „Täterschaft und Motiv“ seien unbekannt. Als wäre es nicht offensichtlich, dass alleine schon die permanente, erdrückende Präsenz der Polizei in diesem Quartier Motiv genug liefert, um diese Besatzer unter Beschuss zu nehmen…
Um das klar zu stellen: Es geht uns nicht darum, uns auf die Seite dieser Personen stellen, von denen wir schliesslich nicht wissen, wer sie sind und was sie für Motive hatten. Wir stellen uns aber auf die Seite ihrer Handlung, die wir gut verstehen können. Damit geht es uns nicht um eine Verherrlichung der Gewalt. Zwischen der Gewalt des Bullen, der jemanden kontrollieren will, und der Gewalt einer Person, die sich dieser Kontrolle entziehen will, ist es jedoch ziemlich offensichtlich, welcher eine unterdrückende, und welcher eine befreiende Gewalt ausübt. Und in einer Welt, die sich uns gewaltsam ihren Gesetzen und Zwängen unterordnen will, ist es nunmal unumgänglich, dass die eigene Freiheit auch gewaltsam an sich gerissen werden muss…

Wenn die Angst das Lager wechselt

Oft hört man von Fällen von „Polizeibrutalität“ sprechen, in denen irgendwelche Personen von den Bullen verprügelt und misshandelt werden, weniger oft, leider, hören wir von Fällen, in denen es die Hüter der Ordnung sind, die Opfer von dem sind, was wir „Volksbrutalität“ nennen könnten.
Zu unserem Glück gibt es noch immer Personen, die sich nicht nur weigern, sich von den uniformierten Beamten demütigen zu lassen, sondern weiter gehen und sich entscheiden, es ihnen mit derselben Währung zurückzubezahlen. Dies ist, was während des Karnevals in einer Ortschaft im Tessin geschah, als, nach einer protzigen Intervention einiger Bullen, um mit aus einer Pistole abgefeuerten Pfefferprojektilen einige Personen vom Fest zu vertreiben, in dem Moment, in sich die Bullen in der Situation befanden, die Waffe nachladen zu müssen, sich etwa zehn Personen entschieden, aus dem Platz des Karnevals herauszukommen, um sich, mit Tritten und Fäusten, bei den Bullen für die Brutalität ihrer Intervention zu beklagen. Nach einigen Minuten schafften es die Repräsentanten des Staates, bis zu ihrem Auto zu kriechen (welches ebenfalls beschädigt wurde), und sich zum nahen Spital zu begeben, um verpflegt zu werden.
Unglücklicherweise für sie, genügte die Schlägerei nicht, um die Gemüter der Anwesenden zu beruhigen, welche sich entschieden, vor dem Spital auf sie zu warten, um zu wiederholen, was sie vorhin bekräftigten. Nicht mehr gewillt, weiter zu diskutieren, haben sich die Bullen entschieden, mit eingezogenem Schwanz durch den Hinterausgang zu fliehen.


 

Zitate

 

« Glücklicherweise gibt es zu jeder Zeit und an jedem Ort Minderheiten, die dem Umwelteinfluss mehr oder weniger entgehen und zu geistiger Revolte fähig sind, welche sich dann in tatsächliche Revolte verwandelt, die siegreich sein kann, wenn die Bedingungen dafür geeignet sind und es den verstreuten Minderheiten gelingt, sich zu verständigen und zur gemeinsamen Aktion beizutragen.
Und wäre das Ziel eine einfache politische Revolution, ein einfacher Regierungswechsel, oder auch eine tiefgreifendere, aber durch die Regierung ausgeübte Veränderung, so würde der siegreiche Aufstand dieser Minderheit ausreichen, um ihr Programm zu realisieren, wie es im Laufe der vergangenen und zeitgenössischen Revolutionen geschah.
Wir aber, wir wollen eine tiefgreifende Revolution, die alle Lebensbedingungen verändert und das ganze Volk, das heisst, alle Individuen, die das Volk bilden, in Stand setzt, direkt zur Bildung von neuen Formen des sozialen Zusammenlebens beizutragen, und deshalb erwarten wir vom Aufstand nicht, und könnten wir nicht erwarten, die sofortige und allgemeine Realisierung unserer Ideen, sondern nur die Erschaffung von günstigeren Bedingungen für unsere Propaganda und unsere Aktion, für den Beginn schliesslich von unserer Revolution. Und das ist, was wir erreichen können, denn, ist die gegenwärtige Regierung einmal gestürzt, und haben wir nicht mehr alle Kräfte des Staates gegen uns, die sich in der materiellen Gewalt der Armee und der Polizei zusammenfassen, auch wenn die anderen Parteien, die zum Aufstand beigetragen haben, auf die Konstituierung von neuen Regierungen, von neuen autoritären und unterdrückerischen Organismen abzielen, und das werden sie zweifellos tun, werden wir dem Volk nicht versprechen, ihnen ihr Glück zu bringen, sondern werden wir es dazu antreiben, es sich selbst zu besorgen, selbst vom Reichtum Besitz zu ergreifen, die eroberte Freiheit tatsächlich auszuüben, so dass das Volk unmittelbar die Vorteile der Revolution spürt, an ihrem Sieg interessiert ist und, zumindest teilweise, mit uns bleibt, um sich dem neuen Joch entgegenzustellen, unter das man es stellen will. »
Errico Malatesta (Italienischer Anarchist), 1913

« Das Volk ist ganz toll darauf, gegen Alles die Polizei zu hetzen, was ihm unsittlich, oft nur unanständig zu sein scheint, und diese Volkswut für das Sittliche beschützt mehr das Polizeiinstitut, als die Regierung es nur irgend schützen könnte. »
Max Stirner, 1844

« Arbeiter, denkt daran, dass die Polizei einer eurer ärgsten Feinde ist, und wenn endlich der Tag der sozialen Plünderung herangenaht ist, dann brechet auch alle Gefängnisse auf und lasset die Gefangenen heraus!!!
Ebensowohl wie die Paläste, müssen auch die Gefängnisse und Zuchthäuser gesprengt werden, denn diese sind dazu da, um die Rebellen unschädlich zu machen! Sie sind die Gräber für die Unglücklichen, Armen und Schwachen! Darum nieder mit dem Gefängnis! Und Tod der Polizei!»
Der Einbrecher
(Zeitung), 1893

 

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